Mitgefühl: In Alltag und Forschung - page 192

Wohlwollens zu erzeugen, meinen wir die Aktivierung dieses angeborenen Systems, die uns –
begleitet von einem belohnenden Gefühl der Wärme, Liebe und Verbundenheit – zur Anteilnahme
an anderen bewegt.
Panksepp hat als wichtige Konstituenten des Fürsorge-Systems von Säugetieren den anterioren
zingulären Kortex, den Bett-Nukleus der Stria Terminalis, das präoptische Gebiet und das
periaquäduktale Grau genann
. Wie Klimecki, Ricard und Singer in diesem Buch (
beschreiben, kann die Erzeugung von Empfindungen der Herzenswärme und des Wohlwollens
weitere Regionen aktivieren (medialer Orbitofrontalkortex, Striatum, ventrales
Tegmentum/Substantia Nigra und Globus Pallidus), die bereits in früheren Forschungsarbeiten mit
Affiliation, Liebe und Belohnung in Verbindung gebracht wurden.
Schwierige Emotionen annehmen und besänftigen
Die klassische psychologische Literatur zur Emotionsregulatio
beschreibt verschiedene
Strategien, wie zum Beispiel Ablenkung, Unterdrückung oder Uminterpretation, mit denen sich
negative Emotionen abschwächen lassen. Angesichts des Leids eines anderen können solche
Strategien unmoralisch erscheinen, da sie unsere Neigung zu helfen eher vermindern. Auch
angesichts unseres eigenen Leids können sie unserem Wunsch entgegenwirken, sich der
Wirklichkeit voll bewusst zu sein, und zudem unsere Fähigkeit beeinträchtigen, die Wurzeln
unseres Leids konstruktiv in Angriff zu nehmen. Im Rahmen eines mitfühlenden Umgangs mit
schwierigen Emotionen wird deshalb ein anderer Ansatz gewählt: Wir versuchen, die Emotion
achtsam wahrzunehmen, sie als gegeben zu akzeptieren und sich ihr mit einer Haltung von
Neugier und Fürsorge zuzuwenden. Hölzel und Kollegen haben angeregt, dass die Prozesse, die
ein annehmendes, nicht-reaktives Gewahrsein von Emotionen begleiten, in den Begrifflichkeiten
der kognitiven Verhaltenstherapie als Konfrontation, Löschung und Rekonsolidierung (exposure,
extinction and reconsolidation) beschrieben werden können
Wenn ein Organismus in einer
negativen Emotion verharrt, ohne zu reagieren (Konfrontation), und dabei die tatsächlichen
Konsequenzen des auslösenden Ereignisses beobachtet, kann er lernen, das Ausmaß der
emotionalen Reaktion dem Ereignis neu anzupassen. Dadurch kann es zu einem neuen,
angepassten Reaktionsmuster (Rekonsolidierung) oder sogar zu einer Löschung der Reaktion
kommen, sollte diese unangemessen gewesen sein. Die Ausbreitung der negativen Emotion und
ihrer belastenden Auswirkungen lässt sich weiter eindämmen, wenn das Fürsorge-System (siehe
oben) aktiviert und auf den Organismus selbst gerichtet ist (siehe Selbstmitgefühl,
. Es
kann während der Verarbeitung des negativen Stimulus als Sicherheitssignal dienen.
Prosoziale Motivation
Das Fürsorge-System
aktiviert Signalwege, die direkt mit Handlung verbunden sind:
Neben den Opioiden, die Empfindungen von Wärme und Ruhe hervorrufen, nutzt das System
auch den Neurotransmitter Dopamin (beispielsweise über dessen Freisetzung im ventralen
Tegmentum und Verbindungen zum „seeking“-system
, ein Kennzeichen für zielgerichtete
Motivation und zielgerichtetes Verhalten
. Entsprechend dem affektiven und motivationalen
Charakter des Fürsorge-Systems werden diese Handlungen auf die Hinwendung zu anderen und
der Versorgung abzielen. Entsprechend zeigen Probanden nach einer Woche täglicher Praxis von
Liebender–Güte–Meditation mehr prosoziales Verhalten in einer standardisierten Spielsituation
(siehe
). Wenn erfahrene Meditierende Liebende-Güte-Meditation praktizieren, führt dies
nachweislich zu einer Aktivierung in den motorischen Arealen des Gehirns
(präzentraler Gyrus
und posterior-medialer Frontalkortex), was auf eine Aktionsvorbereitung hinweist. Dies spricht
dafür, prosoziale Motivationen und Handlungsbereitschaft als integrale Merkmale von Mitgefühl zu
konzeptionalisieren. Sie sind Teil einer Lebenseinstellung, die darauf abzielt, Leiden zu mindern.
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