Mitgefühl: In Alltag und Forschung - page 138

Im Gegensatz dazu sind auf das Selbstbild gerichtete Ziele in erster Linie auf Selbstverteidigung aus,
etwa wie man versucht, „andere davon zu überzeugen, dass man Recht hat“ oder wie man „vermeidet,
seine Schwächen zu zeigen“. Die Ergebnisse sind aufschlussreich: Obwohl unsere Wirtschaftssysteme
uns oft dazu anhalten, konkurrenzbetont und selbstzentriert zu agieren, ließen die auf das Selbstbild
gerichteten Ziele die Prognose von Konflikten, Einsamkeit und Angst sowie Verwirrungsgefühlen zu,
während die auf ein mitfühlenden Selbst gerichteten Ziele im Laufe des Semesters Nähe, Gefühle der
Klarheit und Verbundenheit sowie eine erhöhte Sozialunterstützung und Zuversicht prognostizierten.
Inzwischen hat man zudem erkannt, dass die Zunahme psychischer Probleme stark mit einer
Verlagerung weg von Gemeinschaftssinn und gegenseitiger Unterstützung hin zu materialistischen,
egozentrischen Werten zusammenhängen könnte
Deshalb ergibt es Sinn, dass sich ein Mitgefühlstraining wie CFT darauf fokussiert, dass Menschen
über den
Sinn, ein mitfühlender Mensch zu sein,
nachdenken und diese Haltung dann kultivieren. CFT
arbeitet mit Schauspieltechniken aus dem „Method Acting“, wozu Körpergesten, Gesichtsausdrücke,
Experimente mit Stimmlagen sowie mitfühlendes Denken, Verhalten, Fühlen und Fokussieren
zählen
Es gibt zunehmend Hinweise darauf, dass ein einübendes Handeln als ein Ich, das man
zunächst imaginiert, Veränderungen in Emotionen und Aktionen evozieren kann
So kann man
beispielsweise Menschen darin trainieren, sich selbst in jeder Situation zu fragen: „Wenn ich die
mitfühlendste Person wäre, die ich sein kann: Wie würde ich über diese Situation denken, wie würde
ich jetzt handeln?“ Dies bedeutet – mit anderen Worten – inne zu halten und sich bildlich vorzustellen,
wie man selbst ist, wenn man mitfühlend denkt und handelt.
Basisemotionen
Motivationen lassen sich kultivieren und entwickeln und begleiten uns in einem unterschiedlichen
Ausmaß der Aktivierung fortwährend. Emotionen leiten Motive. Sie kommen und gehen so, wie unsere
Motive gehen. Die Art unserer Emotionen ist an die Art unserer Motive gekoppelt. Wenn wir motiviert
sind, freundlich zu jemandem zu sein, würden wir uns wohl schlecht und traurig fühlen, wenn wir
dessen Gefühle verletzten. Sind wir dagegen von Rache motiviert, kann uns der Anblick eines
verletzten Menschen stark und gut fühlen lassen! Die Wut, die man bei einem Konflikt mit einer
geliebten Person fühlt, dürfte sich sehr von der Wut unterscheiden, die man gegenüber jemandem
spürt, den man als Feind betrachtet und hasst. Deshalb kann es durchaus problematisch sein,
Emotionen als singuläre Prozesse außerhalb von sozial-relationalen und motivationalen Kontexten
(ihrer sozialen Mentalität) zu betrachten.
Rolle der Emotionen und der motivationalen Systeme
Emotionen werden üblicherweise als positiv oder negativ beschrieben. Das ist allerdings irreführend.
Eine Angst, die mich zum Handeln veranlasst und mir so das Leben rettet, ist wohl kaum negativ.
Positive Gefühle beim Genuss (beispielsweise beim Essen) sind in Verbindung mit Antriebsproblemen
oder Fettsucht kaum positiv! Was wir grundsätzlich mit „positiv“ oder „negativ“ meinen, ist, ob wir diese
Gefühle
mögen
oder nicht – aber auch das ist verzwickt, weil ein gewisses Maß an Angst, wie
beispielsweise bei einem Fallschirmsprung, als Teil der Begeisterung und Freude erlebt werden kann
und Schmerzen im Kontext einer sadomasochistischen sexuellen Beziehung ganz anders erlebt werden
können als im Alltag. Deshalb ist es besser, die verschiedenen Arten von Emotionen im Sinne ihrer
entwicklungsgeschichtlichen Funktionen zu betrachten. Das nämlich führt uns zu wichtigen
Erkenntnissen (siehe auch
).
Es gibt zwar viele Möglichkeiten, unterschiedliche Arten von Emotionen zu untersuchen, aber bisher
keine übereinstimmende Funktionsanalyse für emotionale Systeme. Panksepp
,
unterscheidet
auf der Grundlage neurophysiologischer Studien eine Reihe unterschiedlicher Funktionen für
Emotionen. Dazu zählen: 1) ein Antriebs-System, das grundsätzlich mit dem Wunsch verbunden ist,
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