Mitgefühl: In Alltag und Forschung - page 106

Das Herz erweichen.
Es gehört zu den ersten Schritten unseres Mitgefühlstrainings, das Herz
empfänglicher gegenüber unseren Mitmenschen zu machen, damit auch vertrocknete, blockierte oder
geschlossene Herzen weicher werden, sich öffnen können und nicht nur für den eigenen Zustand,
sondern auch für die missliche Lage anderer zugänglicher werden.
Im Rahmen des CCT setzen wir viele Hilfsmittel ein, um die Empfänglichkeit der Teilnehmer für
Mitgefühl zu stärken: traditionelle Meditationen, Gedichte, Geschichten und Videos (Links zu einigen
dieser Quellen folgen weiter unten in diesem Kapitel). Dabei sind die weniger konventionellen
Hilfsmittel nach unserer Erfahrung oft die besten. Als Beispiel dafür dient die wunderbare Geschichte
über empathisches Helfen aus der New York Times (
. Dieser Zeitungsartikel berührt uns
Lehrer beim Vorlesen in der Gruppe immer wieder. Obwohl wir sie bereits dutzende Male vorgelesen
haben, muss Erika immer wieder weinen, wenn sie mit dem Vorlesen fertig ist (siehe nächste Seite)!
Solche Geschichten haben das Potenzial, uns zu bewegen und unseren Körper und unseren Geist im
Hinblick auf bestimmte Situationen und Empfindungen zu mobilisieren. Im CCT arbeiten wir oft mit
Geschichten oder Gedichten, um die Schüler zu mobilisieren und damit für Meditationen empfänglicher
zu machen. Auf diese Weise wird sozusagen der Boden bereitet.
Justin Horner read by Erika L. Rosenberg
“The Tire Iron and the Tamale”
4:53 min
Ein eher traditioneller Ansatz der Öffnung des Herzens arbeitet direkt mit meditativen Übungen, wobei
die Zielobjekte der Übungen vorgegeben werden, um den leichten Fluss der Liebe und/oder
Anteilnahme zu fördern. Aus diesem Grunde arbeiten wir zunächst mit geliebten Angehörigen, da sie
eher als „einfache Zielpersonen“ für Liebe und Mitgefühl gelten.
Die Funktion solcher
Unterrichtungsansätze – und dies geht weit zurück bis auf antike Lehrer – besteht darin, einfache
Verbindungen dazu zu nutzen, dass der Schüler in seinem Körper ankommt und spürt, wie sich Liebe
anfühlt und wie es sich anfühlt, Liebe aus dem eigenen Herzen zu einem anderen zu schicken, Zeuge
des Zustands eines anderen zu sein, und zwar unabhängig davon, ob dieser andere nun leidet oder
nicht. Dies ist eine Möglichkeit, die mitfühlende Verbindung assoziativ zu aktivieren. Die Logik lautet
hier: Was uns mit Leichtigkeit gelingt, können wir auf weniger vertraute Ziele ausweiten. Dies ist eine
lange erprobte und bewährte Methode, die mitfühlende Reaktion zu fördern.
Emotionale Alphabetisierung entwickeln.
Wir haben gelernt, dass die verschiedensten Emotionen
von Trauer bis Freude auftauchen können, wenn wir mit Leid in Kontakt kommen. Die Art und die
Intensität dieser Emotionen variieren dabei von Person zu Person und von Situation zu Situation. Doch
diese Emotionen können wichtige Hinweise darauf liefern, wie wir uns selbst und andere in Verbindung
mit Schwierigkeiten und Schmerzen sehen. Indem wir nun das Fühlen der Emotionen im Körper
wahrnehmen, benennen, anerkennen und verstärken [
, helfen wir den Teilnehmern dabei, eine
emotionale Alphabetisierung
des affektiven Bereichs rund um das zu entwickeln, was bei der
Mitgefühlsschulung auftreten kann. Dazu zählen das Erkennen der Anzeichen für ein geschlossenes
Herz, das Zulassen des Hochkommens von Emotionen sowie das Erkennen der nahen Feinde, die sich
als Mitgefühl maskieren [
. Die wiederholte Rückkehr zu solchen Empfindungen – in Form von
Übungen – führt dazu, dass sich die Teilnehmer besser fühlen, wenn diese in spontanen Interaktionen
auftreten.
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