Mitgefühl: In Alltag und Forschung - page 104

weitergehen und einem anderen Menschen möglicherweise helfen kann. Menschen, die eine solche
Offenheit nicht gelernt haben, werden bei aktiven Mitgefühlspraktiken wie dem
Tonglen
Schwierigkeiten
erleben.
Erika L. Rosenberg
“Tonglen”
25:23 min
Denn diese erfordern eine Öffnung des eigenen Herzens gegenüber dem Leid des anderen, damit eine
Verwandlung des Leids möglich wird. Wenn es sich „giftig“ anfühlt, in den Schmerz eines anderen
hineinzuatmen, hat man sich nicht angemessen mit der Angst vor dem Kontakt mit dem Leid
beschäftigt. Nur wenn man dieser Angst mit Leichtigkeit begegnet, kann sich die Entwicklung
fortsetzen.
Wie können wir mit dieser Angst umgehen? Zunächst einmal ist es wichtig, dass wir optimale
Bedingungen für die Kultivierung des Mitgefühls schaffen. Aus CCT-Perspektive [siehe
ist
hierfür eine grundlegende Kontemplationsschulung entscheidend, in der man lernt, seinen Verstand zu
stabilisieren und seine Aufmerksamkeit zu fokussieren. Diese Fundamente helfen dem Teilnehmer, die
eigenen Reaktionen objektiver zu betrachten, das Aufsteigen solcher Emotionen zu erkennen und
achtsam mit dem Fluchtimpuls umzugehen.
Ein weiterer Schlüssel im Umgang mit der Angst und anderen „furchterregenden“ Gefühlen ist
Selbstmitgefühl, das ebenfalls Bestandteil des CCT-Trainings ist (weitere Informationen zum
Selbstmitgefühl sind auch in
und
zu finden). Wenn man darin geübt ist, mit sich selbst
sanftmütig umzugehen und die eigenen Grundbedürfnisse nach Annehmlichkeit und Frieden zu erfüllen,
fällt es leichter, Ursachen für Leid (wie etwa Angst) loszulassen. Wir lehren, dass Gefühle vergängliche,
kurze Erfahrungen sind. Wenn man ihnen ihren natürlichen Lauf lässt, lässt die Erregung von selbst
nach. Und dann kann man weitergehen.
Trauer.
Das Leiden anderer – unabhängig davon, ob es sich um Angehörige oder Fremde handelt – ist
entmutigend. Ihre Nöte machen uns vielleicht betroffen und wir möchten, dass es ihnen wieder besser
geht. Wenn die Zielperson unserer Übung ein Freund ist, trauern wir möglicherweise über unseren
eigenen Verlust – den Verlust der Person, die unser geliebter Freund einmal war, oder den Verlust
dessen, was er früher einmal konnte. Trauer hat eine enorme Sogwirkung und wir müssen aufpassen,
dass wir davon nicht mitgerissen werden. Auch hier sind Einsicht, Weite und Selbstsorge entscheidend.
Aus unserer Sicht ist es hier das Wichtigste, ein akutes Traurigkeitsgefühl als Hinweis darauf zu
deuten, was einem diese Person bedeutet – und darauf zu vertrauen, dass sich diese unmittelbare
Gefühlswallung von selbst auflöst.
Betrübnis.
Betrübnis kann als eine Kombination aus Trauer und Schmerz beschrieben werden
Wenn wir uns in einer emotionalen Resonanz mit dem Zustand eines anderen befinden, kann uns
dessen Leid im wahrsten Sinne des Wortes schmerzen. Die Techniken für den Umgang mit Betrübnis
sind ähnlich wie mit Angst und Trauer: Großzügigkeit, Verständnis und Selbstmitgefühl. Wie bei Trauer
und Angst gibt es auch hier eine Komponente im CCT, die den Teilnehmern hilft, zwischen echtem
Mitgefühl und dessen „nahen Feinden“, nämlich Betrübnis und Mitleid, zu unterscheiden
Betrübnis
wird oft erlebt, wenn man sich vom Leiden eines anderen überwältigen lässt. In diesem Fall halten wir
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