Mitgefühl: In Alltag und Forschung - page 23

Wissenschaftler oder buddhistische Mönche und einige Kommunikationstrainer. Normalerweise reden
kontemplative Praktiker nicht mit Neurowissenschaftlern, die auch selten mit klinischen Praktikern
sprechen. Und natürlich gibt es einen neuen Trend im Bereich der kontemplativen Wissenschaft, der
versucht, die kontemplativen Praktiken aus erster Hand mit wissenschaftlichen Ansätzen aus dritter
Hand zu überbrücken.
Doch diese Forschung steckt noch in den Kinderschuhen. Für die Bildung solcher Brücken zwischen
einzelnen Fachgebieten ist es wichtig, solche Brücken da zu schlagen, wo Menschen sich zu einem
Thema treffen, durch das aufgrund ihrer gemeinsamen Passion eine Resonanz erzeugt werden kann.
Wenn dies passiert, ist es nicht mehr so wichtig, welche Disziplin das Thema zuerst ansprach. Die
wichtige Frage lautet dann eher: „Was können wir mit dieser Arbeit tun, um sie voranzubringen und der
Gesellschaft als Ganzes zu dienen?“ Und damit haben wir eine gemeinsame Verantwortung zum
Wohle der Menschheit gefunden.
TS:
   Ich habe eine Frage an Sie, Olafur: Sie sprachen über die Hoffnung, dass die Ausrichtung solcher
Treffen in Ihrem Studio der Beginn einer Veränderung und einer anhaltenden Bewegung in Ihrem
Studio sein könnte. Haben Sie das Gefühl, dass dieser viertägige Workshop – diese vier sehr
intensiven Tage – eine Kettenreaktion ausgelöst haben? Mit anderen Worten: War dies etwas, das die
Art des Denkens im Studio veränderte?
OE:
   Ja. Ich lade oft Menschen aus unterschiedlichen Bereichen ein – Wissenschaftler, Architekten,
Tänzer und andere Praktizierende – so dass wir voneinander lernen, inspiriert werden und Gedanken
austauschen können. Deshalb war dieses Seminar nicht etwas vollkommen Neues und ich hoffte auf
anhaltende Eindrücke aus Ihrer Anwesenheit hier. Und wie sich dann herausstellte, passierte genau
das: Die Meditationsexperten und die Wissenschaftler haben mit großer Sicherheit unsere Praxis
beeinflusst. Sie beeinflussten natürlich einige Teile des Studios stärker als andere. So war das Seminar
einerseits eine einzigartige Erfahrung, doch andererseits war es sehr synchron mit dem, was hier
bereits stattfindet.
Was Sie in mein Studio brachten, war sowohl eine großartige Wissensressource aus einer sehr
erfahrenen Gruppe von Denkern und Praktikern als auch ein starkes Gefühl physischer Präsenz. Dies
war ein wichtiger Aspekt, wenn man bedenkt, dass diese beiden Bestandteile viel zu oft getrennt
voneinander existieren. Und die Art des Themas erreichte offensichtlich die aktive Integration von
Denken und Tun. Ich glaube, dass dieser Aspekt die Arbeitsprozesse im Studio insgesamt sehr
beeinflusst hat. Er hat zu einem weiteren Vertrauen in die Tatsache geführt, dass man nicht einfach
etwas tun kann, ohne Teil eines Denkprozesses zu sein. Gleichzeitig sind kontemplative Praktiken für
viele Künstler nicht wesensfremd und die Idee des Experimentierens mit diesen Ansätzen ist überhaupt
nicht ungewöhnlich. Und so fühlte es sich weder fremd noch überraschend an. Den Workshop im
Studio abzuhalten, war deshalb gar nicht so sehr anders als das, was wir normalerweise tun. Ich
denke, es war – in diesem bestimmten Moment der Zeit und des Zusammenhangs – gut platziert und
die Menschen verstanden intuitiv, dass ein Moment mit einer besonderen Qualität entstanden war.
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