Mitgefühl: In Alltag und Forschung - page 266

Schmerzwahrnehmung, die weniger mit der Erfahrung selbst, sondern eher mit ihrer Gestaltung
oder Modulierung zu tun haben. So wissen wir beispielsweise, dass die Angst vor dem Auftreten
eines schmerzhaften Stimulus dessen letztendliche Wahrnehmung beeinflusst
Unserem
Schmerzerleben liegt eine Aktivität in zahlreichen Gehirnregionen zugrunde, wie in
sichtbar wird. Grundsätzlich geht man davon aus, dass der sensorisch-diskriminative Aspekt von
Schmerz durch den primären und sekundären somatosensorischen Kortex (SI, SII), den Thalamus
(Thal) und Teile der Insula (INS) verarbeitet wird, wobei die Hirnaktivität den Bewertungen der
Studienteilnehmer zur Stimulus-Intensität entspricht
Die affektiv-motivationale Dimension von
Schmerz wird, so vermutet man, im anterioren Gyrus cinguli (ACC) und verschiedenen Teilen von
INS verarbeitet, wobei die Bewertung der Schmerzunannehmlichkeiten oft mit den
Hirnaktivitätsniveaus übereinstimmt
Hier ist zu betonen, dass diese Unterscheidungen nicht als
absolut betrachtet werden sollten, denn in diesen Gehirnregionen spielt sich weit mehr ab als
lediglich die Reaktionen auf schmerzhafte Situationen. Sie sind bekanntlich auch an generellen
Prozessen, wie beispielsweise der Aufmerksamkeit (ACC), beteiligt. Und schließlich ist der
Präfrontalkortex (PFC) als riesige Region an höheren kognitiven Funktionen wie der Willenskraft,
der Aufmerksamkeit und dem Gedächtnis beteiligt
und stellt vermutlich bei Schmerzen die
Grundlage für die Einschätzung, Beurteilung oder Erinnerung des Stimulus dar
Insgesamt
betrachtet ist eine typische neuronale Reaktion auf Schmerzen mit einer erhöhten Aktivität der
sogenannten Schmerzneuromatrix verbunden: SI, SII, Thal und INS (die die gefühlte Intensität
wiedergeben), ACC und INS (die die gefühlte Unannehmlichkeit wiedergeben) und PFC, der
vermutlich an Erinnerung oder Stimulusauswertung beteiligt ist. Bei der Modulierung von
Schmerzerfahrungen sind zusätzliche Hirnregionen beteiligt. Am so genannten „absteigenden
modulatorischen System“ sind PFC und tiefere Hirnstrukturen wie das periaquäduktale Grau (PAG)
und die rostroventrale Medulla beteiligt
Diese Regionen reduzieren eingehende
Schmerzsignale, indem sie im Gehirn Opioide ausschütten. Wir wenden uns jetzt der Frage zu,
wie Meditationspraktiken die Schmerzwahrnehmung beeinflussen könnten.
Die Grundlagen: Wie konzentrationsgestützte Meditation Schmerz beeinflussen kann
Die vielen verschiedenen Traditionsrichtungen des Buddhismus haben eine riesige Anzahl
verschiedener Meditationspraktiken zu bieten. Fast alle Linien kennen eine Grundpraxis, bei der
man lernt, mit dem eigenen Verstand zu „ringen“. Solche Übungen zielen darauf ab, den oft
überaktiven Verstand zu beruhigen – beispielsweise, indem man übt, seine Aufmerksamkeit
bewusst aufrechtzuerhalten. Die Wissenschaft bezeichnet diese Praktiken als „konzentrative“
Meditationstechniken oder Meditationstechniken der „gerichteten Aufmerksamkeit“
(siehe
und
. Da unsere Art der Wahrnehmung durch die Aufmerksamkeit verändert wird,
können bereits solche ersten Trainingsbemühungen die Schmerzwahrnehmung beeinflussen. Wird
die Aufmerksamkeit beispielsweise streng auf einen bestimmten Stimulus gerichtet, können
andere Reize dadurch unbemerkt bleiben. Untersuchungen des Gehirns mit Bildgebungsverfahren
haben gezeigt, dass die stimulus-relevante Hirnaktivität stärker wird, wenn man sich auf den
Stimulus konzentriert. Das gilt auch für Schmerzen. Richtet man seine Aufmerksamkeit auf einen
schmerzhaften Stimulus, erhöht sich die Gehirnaktivität in den Regionen, die diese Signale
verarbeiten. Dadurch verstärkt sich auch das Schmerzerleben
Umgekehrt kann Ablenkung
effektiv zur Schmerzreduzierung beitragen, was jedoch von der Stärke und Beharrlichkeit des
Stimulus abhäng
. 2005 wurde die faszinierende Fallstudie über einen Yogi veröffentlicht, der
behauptete, während des Meditierens keine Schmerzen zu spüren
Forscher induzierten an
seiner Hand eine schmerzhafte (aber sichere) Laserstimulation, während er sich im normalen
Wachzustand befand, und beobachten dabei das Gehirn in der Computertomograhie. Das
Verfahren wurde dann wiederholt, während sich der Yogi im Meditationszustand befand.
Schmerzrelevante Regionen, die im Normalzustand aktiv waren, zeigten bei den während der
Meditation erstellten Tomographien keine Aktivierung. In Übereinstimmung mit diesem Befund
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