Mitgefühl: In Alltag und Forschung - page 272

dieser Hinsicht einen Unterschied zwischen den Gruppen gab. Dabei entdeckten wir, dass bei
Meditierenden während des Schmerzes die Verbindung zwischen PFC (dorsolateral) und der
zentralen schmerzrelevanten Region ACC „funktionell“ ausgeschaltet war. Man geht davon aus,
dass zwischen diesen Regionen Informationen zur Steuerung unseres aktuellen Verhaltens
fließen
Bedeutenderweise waren Meditierende mit der stärksten Abschaltung dieser Regionen
diejenigen, die bis zu einer Rückmeldung von Schmerz die höchsten Temperaturreize benötigten.
Hierbei darf nicht vergessen werden, dass diese Ergebnisse den Ausgangszustand betreffen. Das
lässt vermuten, dass die Meditierenden Schmerz „spontan“ modulieren können. Und natürlich wirft
das auch die interessante Frage auf, wie ihr Gehirn wohl während der Meditation aussieht. Diese
Daten werden derzeit noch analysiert. Insgesamt bestätigen die Ergebnisse dieser Studie alte
buddhistische Lehren, die zwei Aspekte des Schmerzes postulieren, nämlich zum einen die
Schmerzempfindung selbst (erster Pfeil) und zum andern das Leid, das der Geist als Folge davon
erzeugt (zweiter Pfeil)
Die Ergebnisse unterstützen zudem die Behauptung, dass man durch
Meditationstraining den Effekt des zweiten Schmerzpfeils reduzieren kann.
Untersuchungen mehrerer Teams scheinen diese Interpretation zu bestätigen. Dabei wurden für
unterschiedliche Meditationstraditionen übereinstimmende Ergebnisse berichtet. Eine Studie, die
Vipassana-Meditierende mit Bildgebungsverfahren untersuchte, entdeckte ebenfalls
Schmerzreduzierungen in Verbindung mit einer erhöhten Aktivität von schmerzrelevanten
Regionen (INS) und einer reduzierten lateral-frontalen Aktivität bei Schmerz im meditativen
Zustand
Eine kurz vor der Veröffentlichung stehende Studie einer Gruppe in Wisconsin kam
bei erfahrenen Praktizierenden tibetisch-buddhistischer Meditation zu auffallend ähnlichen
Ergebnissen. Bei Meditationsanfängern könnte es sich jedoch etwas anders verhalten. Nach nur
vier Tagen Training zeigten ungeübte Personen eine erhebliche Schmerzreduzierung
Die SI-
Aktivität war herabgesetzt, während Berichte über eine Schmerzreduzierung mit einer erhöhten
Aktivität in INS, ACC und dem orbitofrontalen Kortex (OFC) korrelierten. Eine kürzlich
durchgeführte Analyse von Meditations-/Schmerzfachliteratur veranlasste uns zu der Annahme,
dass an der Achtsamkeit möglicherweise mehrere Mechanismen beteiligt sind, die teilweise vom
Erfahrungswert abhängig sind
Die Aktivierungen der Schmerzregionen (ACC/INS) lässt
zusammen mit reduziertem Schmerz (im Gegensatz zu typischen Befunden) eine neue Form der
sensorischen Beobachtung vermuten, bei der physische Eigenschaften und die aversive Art des
Erlebens voneinander getrennt werden. Wir gingen davon aus, dass Anfänger dies möglicherweise
durch eine Neubewertung ihres Erlebens erreichen, was sich in den OFC-Aktivierungen zeigt,
während fortgeschrittene Meditierende tatsächlich gar keine Bewertung vornehmen, was durch die
weitläufigen, insbesondere frontalen Deaktivierungen unterstrichen wird. Interessanterweise
kodieren ACC und INS bekanntermaßen die Stimulussalienz
, was ein Hinweis darauf sein
könnte, dass eine Meditationspraxis bestimmte Aspekte der Stimuli verstärkt. Alternativ könnten
diese Aktivierungen die Prozesse widerspiegeln, die zur Durchführung der Meditationspraxis selbst
erforderlich sind. Weitere Mechanismen, wie beispielsweise die Herabsetzung von Angst, Furcht
und Antizipation
spielen wahrscheinlich ebenfalls eine Rolle in der achtsamkeitsbasierten
Schmerzreduzierung. Derzeit werden von verschiedenen Gruppen weltweit Studien durchgeführt,
die versuchen, die Mechanismen der meditationsgestützten Analgesie zu entschlüsseln.
Eine der Implikationen der von unserer Gruppe beobachteten Baseline-Effekte ist, dass ein
Training offensichtlich anhaltende Auswirkungen auf den Praktizierenden hat. Dies ist natürlich von
Bedeutung, wenn solche Praktiken einen sinnvollen Eingang ins Alltagsleben finden sollen. Die
MRT-Technik ermöglicht es uns auch, detaillierte Bilder der Hirnanatomie zu erstellen und
verschiedene Gewebe zu quantifizieren, die uns einen Index für längerfristige Veränderungen
liefern. In einer separaten Studie haben wir die Stärke der grauen Substanz bei Zen-
Praktizierenden und Kontrollprobanden gemesse
. Die graue Substanz ist die dünne
Zellschicht, welche die Außenfläche des Gehirns bedeckt und die den Rechenleistungen des
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