Mitgefühl: In Alltag und Forschung - page 462

Sitzmeditationen sollten den Kursteilnehmern auch informelle „weltliche“ Praktiken vermittelt
werden, mit denen sie die Schwerpunktthemen der Kurswochen auf alltägliche Lebenssituationen
übertragen können.
Das Programm des Compassion Cultivation Training (CCT) besteht aus sechs Schritten. Schritt 1
beschäftigt sich mit dem Zur-Ruhe-bringen und Konzentrieren des Geistes – Grundkompetenzen
für jede Form einer reflektierenden Geistesübung – sowie einer leidenschaftslosen Beobachtung
der eigenen Gedanken und Gefühle, ein Grundelement der Achtsamkeitspraxis. Die Schritte 2 bis
5 fokussieren sich dann auf das eigentliche Mitgefühlstraining, nämlich:
Liebende Güte und
Mitgefühl für einen Nahestehenden
(Schritt 2),
Liebende Güte und Mitgefühl für sich selbst
(Schritt
3), die Grundlage des Mitgefühls für andere schaffen – durch
Annahme von Mitmenschlichkeit und
tiefer Verbundenheit von uns selbst mit anderen
(Schritt 4) und
Mitgefühl für andere
, einschließlich
aller Lebewesen (Schritt 5). Dem folgt das, was man als
aktive Mitgefühlspraxis
bezeichnen könnte
(Schritt 6), eine Imagination, bei der anderen ihr Schmerz und ihr Leid genommen und ihnen das
eigene Glück, die eigene Freude und all das Gute angeboten wird, das man selbst hat. In Woche 8
schließlich vermittelt der Kurs auf der Grundlage der Übungen der vorangehenden Schritte eine
vollständige Mitgefühlsmeditation, die man täglich durchführen kann.
Die formellen Meditationen dieses Protokolls wurden überwiegend aus Mitgefühlspraktiken der
tibetisch-buddhistischen Tradition abgeleitet. Allerdings sind sie entsprechend den Sensibilitäten
und Anforderungen eines multikulturellen Kontextes und für den Einsatz bei Menschen aus
unterschiedlichen ethnischen, religiösen und kulturellen Hintergründen angepasst worden. Dabei
wurde besonders viel Wert darauf gelegt, dass es sich bei den vorgestellten Meditationspraktiken
nicht um konfessionell gebundene, sondern grundsätzlich um säkulare Formen handelt.
Der über die genannten Meditationen vermittelte Ansatz zur Mitgefühlskultivierung wird durch
weitere wichtige Aspekte im Gesamtprogramm ergänzt. Es ist vorgesehen, dass die Kurslehrer
auch folgende Inhalte vermitteln: a) grundlegende psychologische Informationen zu den
dynamischen Interaktionen zwischen Gedanken, Gefühlen und Emotionen sowie ihre Beziehung
zum eigenen Wohlbefinden; b) eine kognitive Neuausrichtung der eigenen Perspektive, damit ein
tieferes Verständnis über den Wert des Mitgefühls, insbesondere in Zusammenhang mit dem
eigenen Frieden und dem eigenen Glück sowie gesunden Beziehungen zu anderen und der Welt
usw. entstehen kann; c) das „Erweichen“ des Herzens durch Vorlesen inspirierender Geschichten
oder Gedichte; d) kreative, interaktive und praktische Übungen, die spezielle affektive Zustände
evozieren, die für das Thema eines bestimmten Schrittes im Mitgefühlskultivierungsprogramm
relevant sind (hier kann beispielsweise eine Geschichte erzählt und dann untersucht werden, wie
sich eine mitfühlende Reaktion auf spezielle Ereignisse entwickeln könnte) und schließlich e)
informelle Hausaufgaben, die die Schüler dazu anhalten sollen, die Grundsätze des Mitgefühls, die
sie im Rahmen des Kurses kennenlernen, in ihr tägliches Leben und ihre täglichen Beziehungen
zu integrieren.
Die geführten Meditationen werden im Hardcopy-Format oder über eine passwortgeschützte
Internetseite weitergegeben. Derzeit untersuchen wir auch Möglichkeiten, den Kurs durch Einsatz
neuerer Technologien oder ein Online-Angebot einzelner Trainingselemente zu optimieren.
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