Mitgefühl: In Alltag und Forschung - page 291

Nach dieser ersten Messung erhielt eine Teilnehmergruppe ein eintägiges Mitgefühlstraining,
während eine entsprechende Kontrollgruppe an einem eintägigen Gedächtnistraining teilnahm. Die
Kontrollgruppe wurde einbezogen, auf das Ergebnis um multiples Testen und unspezifische
Trainingseffekte (wie z. B.: Training in einer Gruppe, tagelange Beschäftigung mit mentalem
Training und Teilnahme an einer wissenschaftlichen Studie) zu kontrollieren. Mitgefühl wurde über
eine Liebende-Güte-Meditation
trainiert. Dieses Training zielt darauf ab, Gefühle der
Herzenswärme und des Wohlwollens gegenüber anderen auszubauen (siehe
Das Gedächtnistraining konzentrierte sich auf die Methode der Orte. Hierbei wird die mentale
Fähigkeit trainiert, sich Abfolgen von Wörtern zu merken, indem man sie mit bestimmten Orten
assoziiert. Zur Aufrechterhaltung der Trainingseffekte wurden beide Interventionen durch
zusätzliche Übungseinheiten ergänzt. Der Vergleich der Trainingseffekte ergab, dass das
Mitgefühlstraining die Selbstberichte über positive Affekte erhöhte (
. Bemerkenswert
war, dass die Kultivierung von Mitgefühl eine positive Haltung induzierte, die sich sogar auf vom
Leid anderer ausgehende Stimuli ausdehnte. Diese nach jedem Video konstatierte Veränderung in
den quantitativen Bewertungen fand ihre Parallele in den nach dem Mitgefühlstraining erfassten
qualitativen Berichten aus der Erste-Person-Perspektive. Dabei beschrieben Studienteilnehmer
beispielsweise „das Gefühl von Wärme“, „das wunderbare, erfüllende Gefühl des Wunsches,
anderen möge es wohl ergehen“, und „ein Glücksgefühl, das entsteht“. Gleichzeitig reduzierte das
Mitgefühlstraining keineswegs den negativen Affekt. Dies koennte eine Voraussetzung für
Hilfeverhalten sein. Zu erkennen, dass jemand bedürftig ist, ist ein notwendiger erster Schritt, um
angemessene Maßnahmen ergreifen zu können. Auf neuronaler Ebene beobachteten wir, dass
das Mitgefühlstraining – nicht aber das Gedächtnistraining – die Aktivierungen in einem Netzwerk
erhöhte, das vorher in Querschnittstudien zum Mitgefühl beobachtet worden war
,
.
Zudem verstärkte es die Aktivität in Gehirnarealen, die mit positivem Affekt
und Zuwendung
sowie mütterlicher und romantischer Liebe zusammenhängen
,
. Dieses Netzwerk
umspannt den medialen orbitofrontalen Kortex, das Putamen und das Pallidum sowie das ventrale
Tegmentum/ die Substantia Nigra (
. Es ist wichtig, anzumerken, dass
mitgefühlsrelevante Aktivierungen in diesem Netzwerk auch in zwei weiteren
Mitgefühlstrainingsstudien beobachtet wurden. Zudem waren diese Regionen auch beim
Meditationsexperten Matthieu Ricard stärker aktiv, wenn dieser in verschiedene mitfühlende
Zustände eintauchte (liebende Güte, Mitgefühl für Leid und bedingungsloses Mitgefühl).
Diese Ergebnisse legen nahe, dass beim Kultivieren von Mitgefühl ein anderes neuronales
Netzwerk beteiligt ist als das in früheren Empathie-für-Schmerz-Studien beobachtete. In einem
nächsten Schritt wollten wir untersuchen, ob sich Empathie und Mitgefühl auf neuronaler Ebene
unterscheiden lassen. Um dieser Frage nachzugehen, führte Olga Klimecki eine
Kurzinterventionsstudie durch, bei der dieselbe Gruppe von Teilnehmern zunächst in Empathie
geschult wurde und erst nach einem anschließenden Test ein Mitgefühlstraining erhielt
Um
unspezifische Trainingseffekte herausfiltern zu können, wurden die Veränderungen in dieser
Gruppe mit der Gedächtniskontrollgruppe verglichen. Auf der Ebene der Selbstberichte erhöhte
das Empathietraining empathische Resonanz und negativen Affekt. Bemerkenswert war, dass sich
der negative Affekt sowohl als Reaktion auf Menschen in Not als auch auf Menschen in
alltäglichen Lebenssituationen erhöhte. Auf neuronaler Ebene führte das Empathietraining zu
erhöhten Aktivierungen in AI und aMCC. Aktivität in diesen Regionen wurde in querschnittlichen
Studien wiederholt als spontane Reaktion auf das Leid anderer beobachtet. Zusammen
genommen unterstützen diese Ergebnisse die Überzeugung, dass empathische Resonanz ein
stark aversives Erleben ist und als solches ein Risikofaktor für Burnout sein könnte.
Glücklicherweise konnte das nachfolgende Mitgefühlstraining diese Auswirkungen durch
Herunterregulierung des negativen Affektes auf den Ausgangswert umkehren und – wie in der
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