Mitgefühl: In Alltag und Forschung - page 343

Mitgefühl verhindern. Aus dieser Perspektive wird die Einübung von emotionaler Balance (also zu
lernen, wie man ein Gleichgewicht zwischen zu viel und zu wenig Emotion findet, und
insbesondere, wie man mit potenziell destruktiven Gefühlen umgeht) als wesentlicher Aspekt der
Kultivierung des Mitgefühls betrachtet. Im Umgang mit destruktiven Gefühlen geht es nicht einfach
darum, sie zu vermeiden oder auszulöschen, sondern sie anzuerkennen und achtsam mit ihnen
umzugehen, ohne sich von ihnen überwältigen oder tyrannisieren zu lassen.
Abbildung 1.
Modell, das die Bedeutung der Bewusstheit des Leids anderer sowie der emotionalen Balance für die
Verstärkung des Mitgefühlsantriebs und die störenden Auswirkungen einer ich-fokussierten Emotion sowie eines
Zuviels oder Zuwenigs an Emotion darstellt.
Hemmende Effekte ich-zentrierter Emotionen
Wie oben erläutert, sind Emotionen, die die Aufmerksamkeit in eine mit den Zielen von Mitgefühl
inkonsistente Richtung verschieben, ein wesentliches Hindernis für Mitgefühl. Mitgefühl
konzentriert sich auf „die/den anderen“ und insbesondere auf das Wohlergehen oder die missliche
Lage des anderen. Emotionen, die sich andauernd mit „dem Selbst“ beschäftigen (egal, ob positiv
oder negativ bewertet), dürften eine Fokussierung auf den anderen erschweren und somit das
Mitgefühlsvermögen beeinträchtigen.
So konzentriert sich das Kampf-oder-Flucht-Motiv beispielsweise in erster Linie auf den Schutz
des eigenen Wohlergehens und Überlebens (oder des „erweiterten“ Selbstes, etwa der
Nachkommen). Deshalb dürften Emotionen in Verbindung mit einer Kampf-oder-Flucht-Reaktion,
wie Angst und Wut, das Erleben von Mitgefühl behindern. Dacher Keltner hat in seinem Buch
(
) ein
schlüssiges Argument für diese Position geliefert. Ähnlich wie die Kampf-oder-Flucht-Reaktion
sind auf andere bezogene Reaktionen, so meint er, in unserem Gehirn und unseren
Verhaltensweisen sowie unseren instinktiven Möglichkeiten fest verankert. Und die Kampf-oder-
Flucht-Reaktionen widersprechen der Motivation, weiterhin für andere zu sorgen (siehe auch
.
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