Mitgefühl: In Alltag und Forschung - page 348

Schizophrenie
und Psychopathie
, wurden Zusammenhänge zwischen einer emotionalen
Abstumpfung und einer Reduzierung von Empathie und prosozialem Verhalten beobachtet. Ein
weiteres Beispiel für „zu wenig“ Gefühl ist ein als „Mitgefühlserschöpfung“ bekanntes Phänomen.
Mit diesem Begriff wird der emotionale Burnout beschrieben, der in der Betreuung von Menschen
auftreten kann, die selbst von emotionalem Schmerz betroffen sind. Diese manchmal auch als
stellvertretende Traumatisierung bezeichnete Reaktion ist durch emotionale Abstumpfung und
Distanziertheit gegenüber anderen charakterisiert
Wie an anderer Stelle vorgebracht (siehe
) sollte die „Mitgefühlserschöpfung“ eher in „Empathiestress-Erschöpfung“ umbenannt
werden. Diese Abstumpfung oder dieser Mangel an emotionaler Reaktivität, der typischerweise
einer überhöhten emotionalen Reaktivität folgt, scheint ein emotionales Umfeld zu schaffen, in dem
der Antrieb, auf andere zuzugehen und ihr Leiden zu lindern, gedämpft wird. In Übereinstimmung
mit dem buddhistischen Konzept vom „Weg der Mitte“ oder dem „Pfad der Mäßigung“ legen
mehrere Forschungslinien die Vermutung nahe, dass die emotionale Balance eine Rolle bei der
Förderung des Mitgefühlsantriebs spielt.
Die Rolle der Emotionsregulation und ein abschließendes Fazit
Was kann uns diese Arbeit insgesamt über die Prozesse verdeutlichen, die für die Förderung des
Mitgefühls zentral sind? Zum einen unterstützen die Forschungsergebnisse zunehmend die
Vorstellung, dass Kampf-oder-Flucht-Emotionen (wie Wut und Angst) und Befangenheitsgefühle
(wie Scham, Peinlichkeit und Stolz) den Antrieb zu mitfühlendem Verhalten dämpfen können.
Zudem gibt es Anhaltspunkte dafür, dass sowohl ein Zuviel als auch ein Zuwenig hemmend auf
diesen Antrieb wirkt. Eine Reduzierung ich-orientierter Emotionen und eine Förderung der
emotionalen Balance könnten also entscheidend für das Kultivieren von Mitgefühl sein. Eine
Schlüsselkomponente im Mitgefühlstraining scheint die Emotionsregulation zu sein. Mehrere
spezielle Strategien können eine zentrale Rolle bei der Realisierung dieses Ziels spielen. Wer
einen besseren Zugang zu seinem emotionalen Erleben hat, erkennt mit größerer
Wahrscheinlichkeit, dass bestimmte Reaktionen für ihn selbst oder andere schädlich sind. Dieses
Gewahrsein motiviert somit Veränderungen im Verhalten und in den umfeldbedingten
Antezedenzien auf diese Reaktionen. Ein erster Schritt wären also Techniken und Prozesse zur
Stärkung des Selbstgewahrseins. In diesem Sinne könnten Achtsamkeitsprozesse im Mittelpunkt
stehen, da sie sich auf eine zunehmende Aufmerksamkeit für bzw. ein Gewahrsein von seelischem
Erleben fokussieren.
Ein zweiter Schritt im Sinne der Mitgefühlsförderung könnte die direkte Verstärkung des Antriebs
sein, das Leid anderer zu lindern. Verschiedene buddhistische Meditationstechniken, wie etwa die
Liebende-Güte-Meditation und Mitgefühlsmeditationen, werden mit der Absicht gelehrt, den
Wunsch zur Linderung des Leids anderer zu intensivieren und positive, prosoziale
Geisteszustände zu fördern. Ein dritter Schritt würde eine tatsächliche Verhaltensänderung
anstreben, die – insbesondere in schwierigen und herausfordernden Kontexten – „destruktive“
emotionale Verhaltensweisen reduziert und prosoziale Verhaltensweisen stärkt.
Es gibt erste Belege dafür, dass Meditationstechniken diese drei Ziele unterstützen können: ein
größeres Selbstgewahrsein
,
, eine erhöhte Motivation zur Reduzierung des Leids
und
Veränderungen im Sozialverhalten mit einer stärker ausgeprägten prosozialen Haltung
,
.
Zudem kann davon ausgegangen werden, dass eine größere emotionale Balance ein
Schlüsselmechanismus für die Effekte der Meditation auf die Kultivierung des Mitgefühls ist.
Meditation wird in diesem Sinne mit Verschiebungen in der Beurteilung des Wertes von
emotionaler Balance assoziiert. In einer der Studien berichteten die Teilnehmer einer
achtwöchigen Meditationsintervention im Vergleich zur Kontrollgruppe Verschiebungen hin zur
Wertschätzung für emotionale Zustände mit geringer Erregung, wie Ruhe und Zufriedenheit, und
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