Mitgefühl: In Alltag und Forschung - page 386

sich selbst sein können, wenn sie leiden, versagen oder sich unzulänglich fühlen.
Wenn im Leben etwas schief läuft, fällt es uns normalerweise leichter, anderen Zuwendung zu
spenden und sie zu beruhigen als uns selbst. Aber was heißt das eigentlich, sich selbst
Zuwendung spenden? In der Trainingseinheit 1 werden drei Teilsysteme unseres Nervensystems
vorgestellt:
Bedrohung, Belohnung
und
Beruhigung
[9]
,
. Selbstmitgefühl bedeutet, das
Beruhigungssystem über verschiedene Mittel, wie beispielsweise die heilende Berührung, zu
aktivieren. So wird in der Trainingseinheit 1 eine Übung vorgestellt, bei der man die eigene Hand
auf sein Herz legt – und die Wärme der Hand, den sanften Druck der Hand auf der Brust und die
rhythmische Bewegung des Atems unter der Hand spürt. Das ist eine der Möglichkeiten, das
Beruhigungssystem zu aktivieren.
In der ersten Trainingseinheit werden die Teilnehmer des MSC-Programms mit der Bedeutung von
Selbstmitgefühl vertraut gemacht. Dies kann über eine PowerPoint-Präsentation und/oder einen
Impulsvortrag, aber auch durch Übungen und Gedichte erfolgen. Dabei erfahren die Teilnehmer
auch, was Selbstmitgefühl nicht ist. Es ist:
• Nicht beschönigend:
Wir öffnen uns dem Schmerz und umgehen ihn nicht.
• Kein egoistisches Selbstwertgefühl:
Es geht um eine Weise, sich freundlich mit sich selbst zu
verbinden – nicht darum, sich für besser als andere zu halten.
• Keine Selbstzufriedenheit:
Es geht um eine Willenskraft – den guten Willen. Selbstmitgefühl
braucht Mut und fördert die Entwicklung, weil es die emotionalen Ressourcen bereitstellt, die
wir brauchen, um zu lernen und uns zu entfalten.
• Nicht maßlos:
Selbstmitgefühl hat mit der Linderung von Leid zu tun und entscheidet sich
deshalb für langfristige Gesundheit und langfristiges Wohlergehen statt kurzfristiges Glück.
• Kein Selbstmitleid:
Wir lösen uns vom Schmerz, indem wir in ihn hineingehen, aber wir suhlen
uns nicht in ihm.
• Nicht erschöpfend:
Wir kämpfen weniger, nicht mehr.
• Nicht selbstsüchtig:
Es ist der erste Schritt auf dem Weg zum Mitgefühl für andere.
• Nicht unnatürlich:
Wir alle werden mit dem Wunsch geboren, glücklich und frei von Leid zu
sein. Selbstmitgefühl erinnert uns an diese ursprüngliche Sehnsucht und hilft uns,
entsprechend zu leben.
Die entweder gemeinsam mit anderen oder als Einzelreflexion und Meditation durchgeführten
Übungen verankern die jeweiligen Schwerpunktthemen in direkten, persönlichen Erfahrungen. Die
folgende Übung wird in der Trainingseinheit 1 vermittelt, um die drei Hauptkomponenten des
Selbstmitgefühls zu verdeutlichen:
Selbstmitgefühlspause
Erinnern Sie sich an eine früher gemachte Erfahrung, bei der Sie sich schlecht gefühlt haben –
aber
nicht allzu
schlecht – sodass Sie jetzt zwar den Druck in Ihrem Körper spüren, ohne jedoch
davon überwältigt zu werden. Visualisieren Sie die Situation, bis diese Vorstellung in Ihnen leichtes
Unwohlsein hervorruft.
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