Mitgefühl: In Alltag und Forschung - page 395

Der Rabbi antwortet:
„Weil unsere Herzen verschlossen sind und wir die heiligen Worte nicht
in unsere Herzen bringen können. Deshalb schreiben wir sie auf unsere Herzen. Und dort
bleiben sie, bis das Herz eines Tages aufbricht und die Worte hereinfallen.“
Die Teilnehmer werden auch dazu angeregt, eigene Formulierungen zu finden, Formulierungen,
die keinen negativen Stress oder eine verstandesmäßige Auseinandersetzung hervorrufen. Die
Hausaufgabe der Trainingseinheit 3 besteht darin, einige einfache Formulierungen zu finden, die
sich authentisch anfühlen und die in der Meditation immer wieder verwendet werden können. Die
Leitfrage dafür lautet: „Was brauche ich?“ Die in der Meditation verwendeten Formulierungen
sollten eine Zeitlang gleich bleiben, um über Konzentration und Wiederholung Ruhe zu fördern.
Sie können aber im Alltagsleben auch so angepasst werden, dass sie zur Situation passen. Die
Übenden sollten sich auch auf den wünschenden Aspekt in den Formulierungen konzentrieren –
den guten Willen – und nicht zu spezifisch auf das Ergebnis fixiert sein, wie das beispielsweise bei
„Möge ich frei von Diabetes sein“ der Fall wäre. Wir verneigen unsere Herzen in liebevoller Weise
vor uns selbst, versuchen aber nicht, die Bedingungen unseres Lebens zu manipulieren. Der
„Möge ich“-Aspekt wird wie die Konditional- /Konjunktivform in romanischen Sprachen verwendet –
„dass es so wäre ...“ – statt an eine externe höhere Kraft zu appellieren.
Ein Teil des Heilungsprozesses der Liebende-Güte-Meditation besteht aus dem
Backdraft
-
Phänomen. Ein Backdraft (Rauchgasexplosion) ereignet sich, wenn ein Feuerwehrmann eine Tür
öffnet, hinter der sich ein Feuer befindet. Dann strömt Sauerstoff herein und verursacht eine
explosionsartige Entzündung. Wenn die Tür des Herzens sich durch Mitgefühl öffnet, wird
manchmal in ähnlicher Weise ein intensiver Schmerz freigesetzt. Besonders Menschen mit
traumatischem Hintergrund können dann eine „Mitgefühlsangst
entwickeln. Solche Backdrafts
konfrontieren uns mit altem Beziehungsschmerz, der bis in die früheste Kindheit zurückreichen
kann. Durch die Wärme und das Wohlwollen, die der Meditierende kultiviert, wird dann eine Art
Desensibilisierung möglich.
Wenn an die Oberfläche dringende Erinnerungen zu sehr stören und sich nicht desensibilisieren
lassen, kann der Übende die Liebende-Güte-Meditation auch in der folgenden Reihenfolge
ändern:
1. Verwenden Sie die Sätze weiter und lassen Sie die schwierigen Emotionen zu einem
Hintergrundgeräusch werden. Wenn der negative Stress auch dann noch zu stark ist:
2. Wechseln Sie zur Übung „Offene Vergegenwärtigung“: Benennen Sie die aufwühlende
Emotion („Wut“, „Trauer“, „Scham“) oder lokalisieren Sie die körperliche Manifestation des
Gefühls im Körper (Spannung im Magen, Leere in der Herzregion) und legen Sie Ihre warme
Hand auf den entsprechenden Körperteil.
3. Wechseln Sie zu liebender Güte für ein geliebtes Wesen, beispielsweise das Lieblingstier
oder ein geliebtes Kind, und schließen Sie sich selbst schließlich in diesen Kreis der Güte ein.
4. Verankern Sie Ihr Bewusstsein mit einer fokussierten Aufmerksamkeit auf den Atem, eine
bestimmte Körperempfindung, wie zum Beispiel an den Fußsohlen, oder auf ein externes
Objekt, wie etwa Umgebungsgeräusche.
5. Beenden Sie die Meditation und seien Sie in einer anderen – eher praktischen – Weise
freundlich sich selbst gegenüber, etwa durch den Genuss eines warmen Bades, das Trinken
einer Tasse Tee oder das Streicheln Ihres Haustieres.
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