Mitgefühl: In Alltag und Forschung - page 402

beispielsweise zu schüchtern, haben Sie Angst vor Risiken oder orientieren Sie Ihr Leben an
den Werten eines anderen Menschen?
Und schreiben Sie schließlich bitte auf, wie Selbstgüte und Selbstmitgefühl dazu beitragen
können, dass Sie das Leben in Harmonie mit Ihren wirklichen Werten leben können,
insbesondere, indem sie Sie bei der Überwindung von inneren Hindernissen unterstützen. Gibt
es eine Möglichkeit, wie dies dazu beitragen könnte, dass Sie sich sicher und zuversichtlich
genug fühlen, neue Schritte zu wagen oder Dinge loszulassen, die Ihnen nicht gut tun? Oder
gibt es unüberwindbare externe Hindernisse, die Sie daran hindern, entsprechend Ihrer Werte
zu leben: Können Sie auch dafür Mitgefühl haben?
Nach dieser Übung sind die Teilnehmer eingeladen, ein „feierliches Versprechen“ abzulegen, das
sie daran erinnert, was sie am meisten schätzen. Zum Beispiel: „Ich gelobe, allen Lebewesen ein
Freund zu sein“. Wenn wir ein solches Versprechen abgeben, schließen wir keinen
unumstößlichen Vertrag ab. Es ist eher eine Verlobung als eine Hochzeit – eine Absichtserklärung.
Es ist wie der Atem in der Meditation, dem wir kontinuierlich immer wieder neu unsere
Aufmerksamkeit schenken, wenn wir feststellen, dass sie abgeschweift ist. Ein solches
Versprechen macht unser tägliches Leben zu einer Meditation. Die Hausaufgabe der
Trainingseinheit 5 besteht darin, dieses Versprechen jeden Morgen und jeden Abend zu
wiederholen und in belastenden Situationen auch tagsüber, und dann zu beobachten, welche
Auswirkungen dies möglicherweise auf die eigene Moment-zu-Moment-Erfahrung hat.
Trainingseinheit 6: Mit schwierigen Emotionen umgehen
Bis zur Trainingseinheit 6 des MSC-Seminars hat bei einigen Teilnehmern der erste Enthusiasmus
für Selbstmitgefühl etwas nachgelassen und es setzt eine leichte Desillusionierung über den
Prozess ein. Deshalb stellen wir an dieser Stelle die drei Phasen des Fortschritts im
Selbstmitgefühl vor: 1) Bestreben; 2) Desillusionierung und 3) wahre Annahme. Wir alle beginnen
die Selbstmitgefühlspraxis zu Anfang mit dem Wunsch, emotionale Belastungen zu reduzieren.
Vielleicht haben wir sogar einen Durchbruch erlebt und begonnen, uns besser zu fühlen. Dann
denken wir natürlich, dass Selbstmitgefühl schlechte Gefühle durch gute Gefühle ersetzen kann.
Das Problem liegt hier (wie bereits beschrieben) darin, dass sich unsere Absicht unmerklich
wegbewegt von der Fürsorge für uns selbst,
weil
wir uns schlecht fühlen, und wir stattdessen
beginnen, unsere Moment-zu-Moment-Erfahrung zu manipulieren. Dies ist die Phase der
Desillusionierung – „Es funktioniert nicht!“ Die Desillusionierungsphase, die oft um Trainingseinheit
6 herum, wenn nicht schon früher, einsetzt, ist ein wichtiger Bestandteil des
Transformationsprozesses. Wenn wir realisieren, dass Schmerzen im Leben unvermeidbar sind
und eine sanfte Reaktion darauf die gesündeste Reaktion ist, die letztendlich zu langfristigem
Glück führt, bewegen wir uns in Richtung „wahrer Annahme“.
Wie können wir mit schwierigen Emotionen umgehen? In der Trainingseinheit 6 bringen wir alle
drei Kompetenzen der Achtsamkeitsmeditation zur Wirkung: Fokussierte Aufmerksamkeit, offenes
Gewahrsein, und Mitgefühl. Wir erinnern die Teilnehmer auch daran, dass es nicht darum geht,
sich einfach planlos dem Schmerz zu öffnen, sondern sich dem emotionalen Schmerz schrittweise
zu öffnen:
1. Interessiert:
Sich dem Kummer mit Interesse zuwenden
2. Nachsichtig:
In Sicherheit aushalten
3. Zulassend:
Gefühle kommen und gehen lassen
4. Freundschaftlich:
Willkommen heißen und den verborgenen Wert erkennen
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