Mitgefühl: In Alltag und Forschung - page 409

Sollte ich meine Aufmerksamkeit durch eine stärkere Aufmerksamkeit auf den Atem beruhigen
und stabilisieren?
Sollte ich meine Konzentration auf den Atem etwas lockern, indem ich
alle
Körperempfindungen spüre oder Klängen zuhöre?
Sollte ich meine Meditation mit liebender Güte und Mitgefühl „wärmen“?
Hauptthema dieses letzten Teils des MSC-Programms ist „Das eigene Leben umarmen“, wodurch
das Programm in einer positiven Grundstimmung abgeschlossen wird. Rick Hanson
formulierte
es einmal so: „Wir sind wie Kletten für schlechte Erfahrungen und wie eine Antihaftbeschichtung
für positive Erfahrungen.“ Das hängt mit unserem Default-Mode-Netzwerk zusammen, das auf die
Sicherstellung unseres Überlebens programmiert ist und deshalb ständig mit der Identifizierung
und Lösung von Problemen beschäftigt ist. Wenn wir glücklich sein wollen, sollten wir allerdings
auch die positiven Aspekte unseres Lebens genießen. Ein Beispiel für eine beglückende Übung ist
der „Freudvolle Spaziergang“, den wir während des Retreats vorgestellt haben. Negative
Emotionen verengen unsere Aufmerksamkeit, was eine sinnvolle Adaption in Gefahrensituationen
ist, während positive Gefühle unsere Aufmerksamkeit erweitern und uns helfen, ungeahnte
Möglichkeiten zu erkennen
In dieser Trainingseinheit werden Forschungsergebnisse zum
Genuss vorgestellt
und es wird darüber gesprochen, wie wichtig absichtliche, positive
Aktivitäten sind – in dem, was wir tun, wie wir denken und wie wir uns in unserem Leben
engagieren. Und das kann unser Glücksniveau erheblich steiger
.
In der Trainingseinheit 8 gibt es zwei Übungen. In der ersten werden die Teilnehmer gebeten, über
zwei oder drei eigene Qualitäten nachzudenken, die sie an sich selbst schätzen, und dabei auch
an die Menschen zu denken, die ihnen bei der Entwicklung dieser speziellen persönlichen
Qualitäten geholfen haben. Hier geht es nicht so sehr darum, darüber nachzudenken, was uns zu
„so speziellen und außergewöhnlichen Menschen“ macht, sondern vielmehr darum, sich spezielle
Stärken als allgemeinmenschliche Erfahrung zueigen zu machen. Wir alle haben gute
Eigenschaften und Schwächen. Und wenn wir unsere guten Eigenschaften zu würdigen wissen,
statt sie als selbstverständlich hinzunehmen, können wir gütiger, unterstützender und
ermutigender zu uns selbst sein – genau so, wie wir es zu einem guten Freund sind.
In der zweiten Übung der Trainingseinheit 8 erhält jeder Teilnehmer ein Stück Zartbitterschokolade
(60% – 70% Kakaogehalt) und wird eingeladen, dreimal davon abzubeißen und dabei das Bittere,
das Süße und dann die Kombination aus Bitterem und Süßem bewusst zu schmecken. Die
symbolische Botschaft ist hier, dass Schlechtes und Gutes, Bitteres und Süßes, immer zusammen
auftreten. Unser Wahrnehmungsprozess arbeitet mit Gegensätzen: Wir kennen Dunkelheit, weil
wir Licht sehen; wir wissen, dass ein Stein hart ist, weil unser Zeh weich ist. Wenn wir uns also
wirklich wohlfühlen wollen in unserer eigenen Haut, müssen wir
alle
Aspekte von uns mit einem
achtsamen, mitfühlenden Gewahrsein annehmen. Wenn wir die unangenehmen Seiten des
Lebens auslassen, leben wir unser Leben nur halb und verpassen viele Lernchancen. Und
nebenbei gesagt: Perfektion wäre doch langweilig!
Am Ende des MSC-Programms wird jeder Teilnehmer gebeten, etwas von dem, das er im Seminar
gelernt hat, das er mitnehmen und in sein tägliches Leben integrieren möchte, der Gruppe
mitzuteilen. Dann schließen wir das Seminar mit einer kurzen Meditation:
Mögen wir uns mit Weisheit und Mitgefühl dem Leid öffnen.
Mögen wir uns selbst und andere so akzeptieren, wie wir sind.
Mögen alle Lebewesen in Frieden leben.
Mögen alle Lebewesen in Freiheit sein.
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