Mitgefühl: In Alltag und Forschung - page 489

„Being with Dying“
„Helfen, Reparieren und Dienen sind drei unterschiedliche Weisen, das Leben zu betrachten.
Wenn man hilft, betrachtet man das Leben als schwach. Wenn man repariert, betrachtet man das
Leben als defekt. Wenn man dient, betrachtet man das Leben als Ganzes.“
Dr. Rachel Naomi Remen
Einleitung
Das professionelle Weiterbildungsprogramm in mitfühlender Sterbebegleitung, „Being with Dying”
(BWD), berücksichtigt ethische, spirituelle, seelische, existenzielle und soziale Aspekte der
Sterbebegleitung. Es umfasst achtsame und mitfühlende Ansätze der Sterbebegleitung, eine
mitgefühlsbasierte Ethik und Kommunikationsstrategien für die Sterbebegleitung sowie Ansätze
der Selbstsorge und kontemplative Interventionen für Ärzte, Pflegende und sterbende Menschen.
Das Programm basiert auf reflektierenden Praktiken, die zur Aufmerksamkeits- und
Emotionsregulation beitragen können, die Kultivierung des Mitgefühl unterstützen, bei der
Entwicklung einer metakognitiven Perspektive helfen, Ruhe und Belastbarkeit fördern, Stress
reduzieren sowie emotionale Balance, Körperbewusstsein und Mitgefühl fördern. Das Training
betont zudem die Notwendigkeit einer grundlegenden neurowissenschaftlichen Forschung in
Verbindung mit den klinischen, kontemplativen und konzeptionellen Inhalten des Trainings (siehe
).
In unserer jahrzehntelangen Arbeit in der Sterbebegleitung haben wir als Mitarbeiter des BWD-
Projektes die Erfahrung gemacht, dass Klinikpersonal durch die Kultivierung der Aufmerksamkeits-
und Affektstabilität befähigt wird, mitfühlender sowie mit größerer Klarheit und einer ethisch
fundierten Haltung auf andere und sich selbst zu reagieren. Dieser Aspekt wird deshalb während
des Trainings durch fortschreitend kontemplative Interventionen betont, die im Verlauf des
Programms vermittelt werden.
Diese kontemplativen Interventionen repräsentieren das „Halifax A.B.I.D.E Compassion Model“,
das Krankenhauspersonal in Aufmerksamkeit, prosozialem Affekt, den kognitiven Dimensionen
von Intention und Einsicht sowie Körperbewusstsein schult (siehe
). Die Grundzüge
dieses Programms fördern Mitgefühl und verbessern die Fähigkeit des Klinikpersonals, präsent
und kompetent mit Leid umzugehen. Das Training konzentriert sich auch auf die G.R.A.C.E.-
Intervention, einen mitgefühlsbasierten Ansatz der Arzt-Patient-Begegnung, der Ärzten eine
aufmerksamkeitsbasierte, affektive, kognitive und somatische Grundlage für ihre Interaktionen mit
Patienten an die Hand gibt.
Die Struktur dieses achttägigen Intensiv-Workshops eröffnet den Teilnehmern Möglichkeiten,
Erkenntnisse mit ihren Kollegen sowie mit den Mitgliedern eines interdisziplinären Teams von
Gruppenleitern auszutauschen, zu denen erfahrene Meditationspraktizierende, Ärzte und Ausbilder
zählen. Dabei geht es um ein tiefes Eintauchen in Werte und Verhaltensweisen, wobei diverse
Lernmodalitäten, wie didaktische Unterrichtsmethoden, selbstgesteuertes Lernen, Befragungen,
kreative Prozesse, Beratungsverfahren und kontemplative Praktiken, zum Einsatz kommen, um für
die Bedeutung des Innenlebens und der professionellen Verantwortung zu sensibilisieren. Im
Verlauf der Weiterbildung werden häufig Prozesse angeboten, in denen die Teilnehmer in Form
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