Mitgefühl: In Alltag und Forschung - page 483

durchgeführt, wie sie bereits für die Kernübung 2 des Affekt-Moduls (siehe oben) beschrieben
wurde.
Die Übung soll auf der Seite des Sprechenden die Fähigkeit trainieren, sich von einer
bestimmten Interpretation der Situation zu lösen und eine alternative Deutungsposition
einzunehmen. Im Verlauf des Trainings kann dies zu einer auf dem Erfahrungsweg zugänglichen
Einsicht in die nicht-einheitliche, vergängliche und interdependente Natur des Ichs führen. Dies
wiederum kann zu einem tieferen Verstehen des Selbsts sowie zur größeren Leichtigkeit und
Flexibilität im Umgang mit damit verbundenen Gedanken und Emotionen führen. Der Zuhörende
lernt, die Perspektive eines anderen einzunehmen und dessen Gedanken und Emotionsmuster
zu verstehen.
Kurzinfo zum Training
Während des Retreats werden die Kernübungen vorgestellt. Die Teilnehmer lernen eine erste,
einfache Variante der Gedankenbeobachtung durch „mentale Bezeichnung“ kennen. Der Rahmen
für die zweite Kernübung ist das System der Inneren Familie (Inner Family System
, ein
Modell unserer Innenwelt als Netzwerk aus miteinander verbundenen Selbstanteilen. Prototypische
Beispiele sind der innere Kritiker, der Sklaventreiber, der Glückspilz, der Manager oder das
gefällige Kind. Diese Archetypen werden jedoch nur als Ausgangspunkte für die Teilnehmer
angeboten, um sie dadurch anzuregen, ihre ganz persönlichen Selbstanteile zu identifizieren. Mit
Hilfe verschiedener Methoden der Kontemplation und Gestaltungen (z.B. Anfertigen einer „Anteils-
Landkarte“) entdecken die Teilnehmer während des Retreats erste Selbstanteile, die sich im
Verlauf des Moduls verändern, erweitern und vertiefen können. Eine von Tom Holmes in das
Protokoll eingebrachte Gruppenübung leitet die Teilnehmer durch die kollektive Erfahrung multipler
Selbstaspekte, die in jeder Person vorhanden sind, und in den Zustand der Ruhe und des klaren
Raums, der erfahrbar wird, wenn man die Identifizierung mit speziellen Selbstaspekten
vorübergehend überwindet.
In dem 13-wöchigen Kurs verfeinern die Teilnehmer ihre Fähigkeiten der Gedankenbeobachtung
immer weiter. Sie beginnen mit einer mentalen Bezeichnung ihrer Gedanken, wodurch sie eine
beobachtende, nicht-identifizierte Perspektive auf die Gedanken kultivieren. Später beobachten sie
das Kommen und Gehen (Wandel / Vergänglichkeit) ihrer Gedanken und ihre Bezüge zu anderen
inneren Ereignissen wie Emotionen oder Körperempfindungen. Die Teilnehmer arbeiten mit ihren
Glaubenssätzen und Überzeugungen, mit dem Ziel, deren Wandel im historischen und
ontogenetischen Verlauf zu verstehen. Über die 13 Wochen hinweg vertiefen die Teilnehmer so
ihre Einsicht in die Funktionsweise des Verstandes und untersuchen die Rolle, die das Denken in
ihrem Leben spielt.
In Gesprächen, die durch kurze Vorträge und die Präsentation wissenschaftlicher Positionen und
Informationen unterstützt werden, vertiefen die Teilnehmer ihr Verständnis von dem, was als „Ich“
verstanden werden könnte, während sie sich dieser Frage in erfahrungsorientierten, dyadischen
Übungen kontinuierlich immer weiter nähern. In mehreren Trainingseinheiten wird auch eine
speziell zugeschnittene Partnerübung eingesetzt, die die Fähigkeiten der Teilnehmer unterstützt,
die Perspektive anderer Menschen einzunehmen (Theory of Mind), und diese Kompetenz speziell
im Hinblick auf Menschen stärkt, deren Perspektive sich vom Teilnehmer nur schwer einnehmen
lässt, weil sich die Hintergründe, Werte und Einstellungen dieser Menschen sehr stark von den
Hintergründen, Werten und Einstellungen des Teilnehmers unterscheiden.
Minute ebenso für diesen Zustand zu öffnen. Anschließend äußert Björn seine Vermutung und
Anna legt die Perspektive offen, aus der sie erzählt hat. Danach werden die Rollen getauscht.
Während der Woche wird diese Übung von den Teilnehmern mit Hilfe einer Smartphone-App
ein Zustand nicht wertenden Gewahrseins von allem was ist, einschließlich aller inneren Anteile,
und ist charakterisiert durch Ruhe, Ausgeglichenheit und Klarsicht. Björn versucht sich in dieser
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