Mitgefühl: In Alltag und Forschung - page 305

Die Achtsamkeitskomponente des Selbstmitgefühls bezieht sich auf ein ausgewogenes
Gewahrsein der
negativen
Gedanken und Gefühle im Zusammenhang mit dem eigenen Leid.
Achtsamkeit generell bezieht sich dagegen auf die Fähigkeit, jeder Erfahrung – also positiven,
negativen und neutralen Erfahrungen – in Akzeptanz und Gleichmut Aufmerksamkeit zu schenken.
Eine weitere Unterscheidung zwischen Achtsamkeit und Selbstmitgefühl liegt in ihren jeweiligen
Zielen
Achtsamkeit konzentriert sich eher auf das innere
Erleben
(Empfindungen, Emotionen,
Gedanken) als auf den
Erlebenden
selbst. So würde sich beispielsweise im Falle von
Rückenschmerzen die achtsame Aufmerksamkeit auf eine Veränderung der
Schmerzempfindungen richten und dabei vielleicht einen stechenden, brennenden Schmerz
feststellen, während sich Selbstmitgefühl eher auf die Person richtet, die unter Rückenschmerzen
leidet (siehe auch
. Selbstmitgefühl legt Nachdruck auf Trost und Unterstützung für das
„eigene Ich“, wenn dieses quälende Erfahrungen macht. Selbstmitgefühl erinnert daran, dass
solche quälenden Erfahrungen Teil des Menschseins sind.
Forschung zu Selbstmitgefühl
Selbstmitgefühl und Wohlbefinden
Viele Untersuchungen weisen darauf hin, dass Selbstmitgefühl zur Entfaltung und zum Gedeihen
des Menschen beiträgt
Eine große Anzahl dieser Studien wurden unter Verwendung der Self-
Compassion Scale
durchgeführt. Dabei handelt es sich um eine aus 26 Elementen bestehende
Skala, die die unterschiedlichen Dimensionen von Selbstmitgefühl misst: Selbstgüte versus
Selbstverurteilung, Mitmenschlichkeit versus Isolation und Achtsamkeit (Ihren eigenen
Mitgefühlswert können Sie
mit Hilfe der Skala ermitteln).
In der Forschung werden jedoch auch zunehmend Methoden wie Stimmungsinduktionen
Verhaltensbeobachtungen
oder Kurzinterventionen
zur Untersuchung der Auswirkungen
von Selbstmitgefühl auf das Wohlbefinden eingesetzt.
Eines der in der Forschungsliteratur am konsequentesten vertretenen Ergebnisse ist der
Zusammenhang zwischen größerem Selbstmitgefühl und weniger Angst und Depression.
Tatsächlich hat eine kürzlich durchgeführte Metaanalyse
von 20 Studien eine enorme
Effektgröße in Bezug auf den Zusammenhang zwischen Selbstmitgefühl und Psychopathologie
festgestellt. Natürlich ist das Fehlen von Selbstkritik eines der wesentlichen Merkmale des
Selbstmitgefühls und Selbstkritik ist bekanntermaßen eine bedeutende Vorhersagevariable für
Angst und Depression
. Selbstmitgefühl schützt jedoch auch vor Angst und Depression, wenn
man die Ergebnisse um die Effekte der Selbstkritik bereinigt
Neff, Kirkpatrick und Rude
haben eine Studie durchgeführt, die eine Aufgabe mit einem simulierten Vorstellungsgespräch
beinhaltete. Dabei wurden die Studienteilnehmer gebeten, eine Antwort auf eine schwierige Frage
aufzuschreiben: „Bitte beschreiben Sie Ihre größte Schwäche“. Bei Personen mit einem höheren
Maß an Selbstmitgefühl ist nach der Aufgabe weniger Angst aufgetreten. Selbstmitfühlende
Menschen grübeln offensichtlich auch wesentlich weniger als Menschen, denen es an
Selbstmitgefühl fehlt
– vermutlich können sie den Kreislauf der Negativität durchbrechen, weil
sie ihre menschliche Unzulänglichkeit in Güte annehmen. Eine Studie von Raes
kam zu dem
Schluss, dass Grübelei den Zusammenhang zwischen Selbstmitgefühl und Depression und Angst
vermittelte, was die Vermutung nahe legt, dass weniger Grübelei einer der wesentlichen Vorteile
von Selbstmitgefühl ist. Möglicherweise gibt es physiologische Prozesse, die den puffernden
Effekten des Selbstmitgefühls zugrunde liegen: Rockcliff et al.
kamen zu dem Schluss, dass
eine Übung, die auf ein stärkeres Erleben von Selbstmitgefühl abzielte, den Spiegel des
Stresshormons Kortisol reduzierte und die Herzfrequenzvariabilität erhöhte, was mit einer
größeren Fähigkeit zur Emotionsregulation (wie Selbsttröstung bei Stress) verbunden is
.
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