Eine Gruppe von Teilnehmern wurde dann gebeten, etwas „Freundliches und Verständnisvolles“
über das Geschehene aufzuschreiben, während die Teilnehmer einer anderen Gruppe „über die
eigenen positiven Qualitäten nachdenken“ sollten und die Teilnehmer einer weiteren Gruppe
gebeten wurden, einfach etwas über ihre Lieblingshobbys aufzuschreiben. Die Teilnehmer der
Gruppe, die zum Selbstmitgefühl angehalten worden war, waren erheblich stärker als die anderen
beiden Gruppen motiviert, den durch die moralische Verfehlung verursachten Schaden wieder
gutzumachen und sich zu verpflichten, den Fehler nicht zu wiederholen. Wenn dieser Art von
Ehrlichkeit mit Güte und Selbstannahme statt mit harter Selbstverurteilung begegnet wird, fällt es
leichter, sich selbst klar zu sehen und Verantwortung für gemachte Fehler zu übernehmen.
Selbstmitgefühl und Coping
Selbstmitgefühl kann als ein effektiver Weg zur Bewältigung schwieriger emotionaler Erfahrungen
betrachtet werden. So haben beispielsweise Sbarra, Smith & Mehl
herausgefunden, dass
Selbstmitgefühl entscheidend dazu beiträgt, sich nach einer Scheidung im Leben zurechtzufinden.
Die Wissenschaftler baten Paare, die sich im Trennungsprozess befanden, sich an einer
vierminütigen Bewusstseinsstromerfassung über ihre Trennungserfahrung zu beteiligen.
Unabhängige Gutachter bewerteten danach, wie selbstmitfühlend ihre Dialoge waren. Die
Probanden, die sich mit größerem Selbstmitgefühl zu ihrer Trennung äußerten, zeigten nicht nur
zu diesem Zeitpunkt eine bessere seelische Anpassungsreaktion, sondern auch noch neun Monate
später. Die Befunde waren auch nach Berücksichtigung einer Reihe von konkurrierenden
Vorhersagevariablen, wie beispielsweise dem Selbstwertgefühl, noch signifikant.
Forschungsergebnisse weisen auch darauf hin, dass Selbstmitgefühl die Bewältigung
frühkindlicher Traumata unterstützt. In einer unter Jugendlichen erhobenen Stichprobe von
Vettese, Dyer, Li und Wekerle
vermittelten die selbstberichteten Grade von Selbstmitgefühl den
Zusammenhang zwischen Misshandlungen in der Kindheit und späterer emotionaler
Fehlsteuerung. Das lässt vermuten, dass traumatisierte Menschen mit Selbstmitgefühl eher in der
Lage sind, produktiv mit schrecklichen Ereignissen umzugehen. Selbstmitgefühl hilft offensichtlich
auch im Umgang mit chronischen körperlichen Schmerzen und ermöglicht es, die emotionale
Balance im Alltag aufrechtzuerhalten und den Alltag besser zu bewältigen
311
