Mitgefühl: In Alltag und Forschung - page 512

Die erste Ebene des Mitgefühls richtet sich auf die drei Ebenen des Leids: Das Leid des Leids, das
Leid der Veränderung und das allumfassende Leid. Wie bereits zu Beginn (siehe
erläutert, kann jede dieser drei Leidensformen Mitgefühl hervorrufen.
Warum können Menschen nicht permanent glücklich bleiben? Sobald man verstanden hat, dass
jeder Mensch alle drei Formen des Leids erlebt, kann allmählich ein Verständnis der Wahrheit von
Unbeständigkeit entstehen. Es gibt nichts, was konstant, andauernd, im Wesentlichen wahr und
unveränderlich wäre – alles ist kontinuierlich im Fluss und in Bewegung. Unser Körper ist
unbeständig und verändert sich kontinuierlich. Das gilt auch für unser Umfeld. Die Dinge sind nur
oberflächlich fest und stabil. In Wirklichkeit sind sie ganz anders. Und da wir die Wirklichkeit nicht
so sehen, wie sie ist, und nicht so akzeptieren, wie sie ist, verursacht diese Täuschung Leid und
Unzufriedenheit. Diese Einsicht ist die Quelle der zweiten Ebene des Mitgefühls, nämlich des
Mitgefühls für Impermanenz.
Wenn sich dieses Mitgefühl für Impermanenz entwickelt und an Stabilität gewonnen hat, kann
Mitgefühl allmählich weiter wachsen, um zu erkennen, dass nichts unabhängig ist und inhärent
existiert. Alle Wesen erleben kontinuierlich Wandlung und bleiben nicht fortwährend gleich. Aber
nicht nur sie selbst verändern sich, sondern auch alles um sie herum ist kontinuierlich im Wandel.
Selbst die Beziehungen, die Sie vielleicht zu ihnen haben, verändern sich. Und genau das ist
gemeint, wenn gesagt wird, etwas sei leer von inhärenter Existenz. Und dadurch kann dann ein
Mitgefühl für die Betrachtung erwachsen, dass alle Wesen frei von inhärenter Existenz sind.
Durch diese drei Ebenen des Mitgefühls, die als Leitfaden für die buddhistische Mahayana-Praxis
dienen, tauchen Sie immer tiefer in die Meditation ein.
Diego Hangartner
"Loving-Kindness (Metta) Meditation"
0:17 min
Praktische Beispiele für Meditationen
Wir beeinflussen und konditionieren unseren Geist durch unsere täglichen Aktivitäten. Ein
gezieltes Training für unseren von solchen Gewohnheiten geprägten Geist ist jedoch nicht einfach.
Wie bei allem, was wir neu erlernen – Lesen und Schreiben, Fahrrad fahren oder ein
Musikinstrument spielen – müssen wir zunächst mit den Grundlagen beginnen und diese einüben.
Erst dann können wir schwierigere und komplexere Aufgaben in Angriff nehmen. Das gilt genauso
für die Schulung des Geistes und die Entwicklung seiner positiven Fähigkeiten. Es gibt viele
verschiedene Variationen von Meditationspraktiken. Für Meditationen zu Mitgefühl nenne ich im
Folgenden einige Kernpraktiken:
1. Mitgefühl für sich selbst erfahren
Rufen Sie sich zunächst die drei Arten des Leids und die Vier Unermesslichen (siehe
ins
Gedächtnis. Welche waren das noch mal? Nach einiger Zeit der Erinnerung an die Bedeutung von
liebender Güte, Mitgefühl, Freude und Gleichmut konzentrieren Sie Ihre Aufmerksamkeit auf den
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