Mitgefühl: In Alltag und Forschung - page 514

B)
Diese beiden ersten Meditationen sprechen das Gefühl der Trennung an, indem wir unser eigenes
Wohlbefinden auf andere ausweiten. Shantideva schlägt in seinem Buch „The Way of the
Bodhisattva“ jedoch noch zusätzliche Übungen vor, die auf dem Austauschen des Selbst mit
anderen basieren. Diese Übungen konzentrieren sich auf etwas sehr Wichtiges – die Entwicklung
von Gegenpolen zu Stolz, Konkurrenz und Neid. Arroganz, Rivalität und Neid gelten als die
Hauptursachen von Problemen und Leid. Sie repräsentieren große Hindernisse für die Entwicklung
von aufrichtigem Mitgefühl. Zudem zieht eine positive Mentalität – wie beispielsweise Mitgefühl –
oft Stolz, Rivalität und Neid nach sich, die die positiven Qualitäten von Altruismus und
Nächstenliebe direkt zerstören können. Shantideva empfiehlt deshalb, diese Übungen als
Gegenmittel zu solchen mentalen Giften einzusetzen.
Bei der Durchführung dieser Meditation des Austauschens des Selbst mit anderen denken Sie an
Menschen, die Ihnen aus Ihrer Sicht unterlegen, gleichgestellt oder überlegen sind. Gegenüber
den Menschen, die Ihnen unterlegen sind, fühlen Sie höchstwahrscheinlich Stolz. Gegenüber
Menschen, denen Sie sich unterlegen fühlen oder die nach Ihrer Ansicht mehr haben, spüren Sie
möglicherweise Neid. In dieser Übung meditieren Sie über den Austausch des Selbst mit anderen.
Stellen Sie sich beispielsweise jemanden vor, der neidisch auf Sie ist. Versetzen Sie sich in seine
Lage. Fühlen Sie den Neid dieser Person. Fühlen Sie, wie dieser Mensch mit seinem Neid zu
kämpfen hat, wie er von diesem erbärmlichen Gefühl übermannt wird. Aus dieser Position des
Neids schauen Sie auf Ihr früheres Selbst mit all den großartigen Qualitäten und Besitztümern,
aber auch durchdrungen von Arroganz und Stolz. Wenn Sie sich selbst als diese hochmütige
Person betrachten, werden Sie realisieren, wie falsch es ist, arrogant und herablassend gegenüber
anderen zu sein. Dies wird Ihren Stolz verringern.
Wiederholen Sie diese Meditation durch Austausch Ihrer eigenen Person gegen jemanden, der
Ihnen nach Ihrem Gefühl gleichgestellt ist. Spüren Sie, wie es sich für diese Person anfühlen
muss, wenn Sie sich in Ihrem normalen Ich in einem Zustand von Konkurrenz und Rivalität
befinden. Spüren Sie, wie unangenehm sich das anfühlt. Wenn Sie das realisieren, wird sich Ihr
Verlangen verringern, sich dem anderen überlegen zu fühlen. Für die dritte Gruppe von Menschen
meditieren Sie einen Austausch, bei dem Sie sich eine Person vorstellen, die Ihnen nach Ihrer
Einschätzung überlegen ist und die sehr stolz und arrogant ist. Durchlaufen Sie erneut diesen
Prozess. Betrachten Sie Ihr übliches Ich mit einer neidischen und feindlichen Haltung. Durch diese
Perspektivenverschiebung werden Sie erkennen, wie nichtig und nutzlos Ihr Verhalten ist und das
wird Ihren eigenen Neid verringern.
Das Meditieren aller drei Konstellationen kultiviert einen Blick, der Ihre normale Anhaftung am
Selbst löst und zur Entwicklung von Einsicht und Mitgefühl führt (siehe
. Diese Übungen
helfen besonders in schwierigen Situationen, die wir sicherlich alle kennen. Wenn man sich stolz
fühlt, zu Rivalität neigt oder Neid und Missgunst empfindet, sind diese Meditationen ein gutes
Gegenmittel. Sie befreien uns von diesen Verunreinigungen, die nur Leid verursachen – in uns und
in anderen.
3. Eine Meditation zur Entwicklung von Gleichmut
Stellen Sie sich vor, wie Sie zwischen zwei Gruppen von Menschen sitzen. Sie – in der Mitte
sitzend – sind ruhig und ausgeglichen, Ihr vernünftiges Selbst. Schauen Sie nach rechts und sehen
Sie dort eine andere Version von sich selbst, durchdrungen von Selbstanhaftung, voller Stolz und
nicht an andere denkend. Vergegenwärtigen Sie sich jetzt an Ihrer linken Seite eine kleine Gruppe
von Menschen, die Not leiden, Schmerzen haben und keinen Zugang zu Hilfe, Geld oder
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