Mitgefühl: In Alltag und Forschung - page 363

Bild 14.
In einem riesigen Schlafraum unterhalb der Meditationshalle bauten wir zwei Forschungslabors nebeneinander
auf. Durch das ehrenamtliche Engagement von Mitarbeitern des Shambhala Mountain Center und örtlichen
Auftragnehmern erfolgte die Fertigstellung gerade noch rechtzeitig, bevor wir eintrafen, um die Geräte aufzubauen.
Fotografiert von Mark Corwin.
Während die erste Gruppe ihr dreimonatiges Retreat begann, wurden die 30 Teilnehmer der
Kontrollgruppe zum Retreat-Center geflogen, wo sie sich ungefähr zur selben Zeit den gleichen
Tests wie die Retreat-Gruppe unterzogen, aber ohne danach in die intensive Meditationspraxis
einzusteigen. Diese Tests wurde in der Mitte und am Ende der ersten dreimonatigen Retreat-
Periode wiederholt. Drei Monate nach Abschluss des ersten Retreats nahm die Kontrollgruppe am
gleichen dreimonatigen Retreat-Programm teil, das erneut von Alan Wallace durchgeführt wurde.
Wir begaben uns also ins Shambhala Meditation Center in Red Feather Lakes, Colorado (
,
welches wir für rund neun Monate angemietet.
Was hat Alan während dieser Retreats unterrichtet? Es ging im Wesentlichen um zwei sich
ergänzende Kontemplationspraktiken. Die erste betrifft die Konzentration des Geistes, die zweite
die Kultivierung förderlicher Geisteshaltungen, damit unser Ziel, den Geist zu fokussieren, eine
tiefe ethische Verankerung erfährt. Im Sinne der fokussierten Aufmerksamkeit war die
Haupttechnik die
Achtsamkeit auf die Atmung
. Dabei ging es, kurz gesagt, darum, sich auf die
Wahrnehmung des Atems an der Nasenöffnung zu konzentrieren. Wenn der Geist wanderte,
lautete die Instruktion, diese Ablenkung behutsam loszulassen und die Aufmerksamkeit auf den
Atem zurückzulenken. Eine zweite Technik unter der Bezeichnung Den-Geist-in-seinem-
natürlichen-Zustand-zur-Ruhe-bringen erweitert die Bewusstheit für das Feld aller mentalen
Ereignisse, Gedanken und Bilder. Die wichtigste Instruktion lautet hier: „Was auch immer im Geist
auftaucht, lassen Sie sich davon nicht mitreißen, halten Sie nicht daran fest und identifizieren Sie
sich nicht damit. Lassen Sie es einfach stehen. Beobachten Sie, wie es entsteht. Seien Sie sich
mit kluger Einsicht seiner Natur bewusst und lassen Sie es – ohne es Ihrerseits zu beurteilen und
ohne einzugreifen – in den Raum des Bewusstseins zurückgleiten
. Eine dritte, noch subtilere
Technik besteht darin, innerhalb dieses Zusammenhangs das Bewusstsein selbst zu entdecken
und sich darauf zu konzentrieren. Weitere Informationen über diese Techniken sind in dem Buch
The Attention Revolution
“ von Alan Wallac
enthalten. Zu den förderlichen Geisteshaltungen
gehörten: Liebende Güte, also der Wunsch, man selbst und andere mögen glücklich sein;
Mitgefühl, der Wunsch, man selbst und andere mögen frei von den Ursachen von Leid sein;
Mitfreude, die Anteilnahme am Erfolg anderer Menschen; und Gleichmut, der nicht unterscheidet
zwischen nahestehenden und fernstehenden Menschen. Dies sind die Vier Unermesslichen (siehe
Alans Buch
Boundless Heart
, wie sie in der tibetischen Tradition genannt werden, weil sie sich,
so denkt man, bis ins Unermessliche kultivieren lassen.
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